Mehr Optimismus wagen

Nicole Hartmann
3 min readMar 26, 2024

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Wie wir den Erhalt unserer Lebensgrundlagen sichern

CC UNclimatechange: Adoption of the Paris Agreement, 12 december 2015; 2.v.r. Christiana Figueres

Das Pariser Klimaschutzabkommen ist zu großen Teilen der unermüdlich optimistischen Haltung einer Frau zu verdanken: Christiana Figueres. Nach dem Scheitern der Weltklimakonferenz 2009 in Kopenhagen schien die Spaltung zwischen den Ländern des sogenannten Globalen Südens und des Globalen Nordens unüberbrückbar. Als neue Generalsekretärin des organisierenden UN-Gremiums (UNFCCC) arbeitete Figueres in den folgenden Jahren mit ihrem Team darauf hin, doch eine Einigung aller Regierungen zu erzielen. Mit ihrer Strategie, zunächst viele kleine Schritte zu vereinbaren, statt mit einem großen Wurf auf alles oder nichts zu setzen, schaffte sie es, das Vertrauen zwischen den Verhandelnden wieder aufzubauen. Und so wurde die historische Einigung auf die gemeinsamen Anstrengungen aller Länder, den Anstieg der globalen Durchschnitts-temperatur auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, im Dezember 2015 verabschiedet.

Christiana Figueres hat entschieden, ihre Aufgabe nicht als unmöglich anzusehen, sondern hartnäckig und unaufhörlich Optimismus zu verbreiten. Sie hat entschieden, Gewissheit auszustrahlen, dass es gelingen kann und gelingen wird, ein wirksames Klimaziel zu verabschieden. Sie hat entschieden, mit dieser Haltung nicht nur die rein politischen Akteure der verhandelnden Staaten zu gewinnen, sondern auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen Verbündete für den Wandel zu organisieren: aus Privatwirtschaft, Industrie, Banken und Versicherungen, unter Investoren, Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen, Universitäten, Stiftungen und vielen mehr.

Dieser pragmatische Optimismus ist jedoch kein zwanghaftes “Mit-der-Rosa-Brille sehen”. Figueres kennt die Fakten und die Folgen der globalen Temperaturerhöhung so genau wie die empörenden Strategien der Verhinderer wirksamer Klimapolitik, die von Profitinteressen aus fossiler Rohstoffgewinnung getrieben sind. Mit ihrer Haltung zeigt sie das Paradox zwischen kurzfristigem finanziellen Gewinn einiger Weniger und dem langfristigen Gewinn für alles Leben auf dem Planeten auf. Für sie ist klar, dass entweder alle verlieren oder alle Zukunft gewinnen.

Und, mit beeindruckender Größe, hat sie nach fast einer Dekade seit dem Pariser Abkommen, den sich überschlagenden Temperaturrekorden zu Land und zu Wasser und dem erstmals für 12 Monate in Folge dokumentierten Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur über 1,5°C eingestanden, dass sie sich in einem entscheidenden Punkt geirrt hat: die Öl- und Gas-Industrie, die seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine unvorstellbare Summen an Gewinnen eingefahren hat, ist von jeglicher Einsicht, von ihrem zerstörerischen Geschäftsmodell abzulassen, weiter entfernt denn je. Also wird die globale Energiewende ohne sie stattfinden, so Figueres’ Fazit. Das exponentielle Wachstum der Erneuerbaren und somit eine distributive, dezentrale und stetig günstiger werdende Energieversorgung ist einerseits unaufhaltsam. Andererseits ist offen, ob die Anhänger des fossilen Todeskults noch rechtzeitig einlenken. Oder werden sie bis zum letzten Dollar am Öl kleben und den Verlust unserer Lebensgrundlagen besiegeln?

Christiana Figueres selbst ist eine Vorreiterin auf dem Gebiet der Erneuerbaren Energien und Tochter und Schwester zweier Präsidenten Costa Ricas, die das Land zu einem der nachhaltigsten Staaten der Welt gemacht haben. Sie weiß genau, was möglich ist, wenn der ernsthafte politische Wille dazu besteht, das Wohlergehen von Mensch und Natur zu priorisieren. Ihr Ansatz eines radikalen, transformativen Optimismus ermutigt dazu, Konfrontation aufzugeben und auf Kollaboration zu setzen — aber auch die Grenzen von Kollaboration anzuerkennen. Er widersetzt sich dem “Es ist zu spät”-Untergangsdenken. Er beruht darauf, Gespräche zu führen, in die man nicht mit einer unverrückbaren Position eintritt, sondern in denen man wirklich zuhört und zu wechselseitigem Entgegenkommen bereit ist. Sturer Optimismus fragt nach den Möglichkeiten, behält sie immer im Blick und lässt sich von ihnen nicht ablenken. Wie Christiana Figueres selbst sagt, ist es ein Optimismus von Mut, Hoffnung, Vertrauen und Solidarität. Er schafft das Verständnis dafür, dass Klimaschutz und die Achtung aller planetaren Grenzen im Interesse jedes und jeder Einzelnen ist.

Zeit für ein Experiment:

Was würde sich ändern, wenn wir unsere nächste Herausforderung mit unerschütterlich optimistischer Haltung angehen würden? Können wir uns sturen Optimismus antrainieren? Wir sollten es darauf ankommen lassen!

2022 hat Christiana Figueres mit Tom Rivett-Carnac, mit dem sie auch den Podcast Outrage & Optimism betreibt, das must have Buch The Future we Choose veröffentlicht.

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Nicole Hartmann
Nicole Hartmann

Written by Nicole Hartmann

Possibilist. Co-Founder and Strategist of Donut Berlin — Initiative for a Regenerative City.

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