Glühende Freundschaft
Wir sind die Menschen, die wir sind, weil wir als Jugendliche und junge Erwachsene die Freunde hatten, die wir hatten. Zumindest zu einem sehr wichtigen Teil.
Ich hatte das Glück, mit tiefgründigen, interessierten, humorvollen, selbstironischen und lebensfreudigen Menschen zusammenzutreffen. Die Gewissheit zu erleben, dass es solche Menschen gibt, die in alledem auf einer Welle liegen, an denen man sich im Sog des Erwachsenwerdens festhalten kann, mit denen man sich im gemeinsamen Lachen versteht. Das Glück, genau zu wissen, welche Empfindungen bestimmte Musik beim anderen auslöst, sich euphorisch anzustrahlen und in die Arme zu fallen, gemeinsam in Rausch zu geraten und zu wissen, der andere ist da, wenn es wild wird.
Das Glück, zur richtigen Zeit aufeinander zu treffen und dann für immer zu wissen, dass es diese Art Menschen gibt. Es stattet mit Unerschütterlichkeit aus, egal, was man noch erfährt oder wem man noch begegnet. Es bleibt die Gewissheit, dass man sich immer wieder auf dem emotionalen Level der geteilten Erfahrungen begegnen kann, egal, wie sehr sich die Lebenswelten voneinander entfernen oder wie lange man sich nicht sieht. Es bleibt die Gewissheit unbedingter Loyalität, wie ein warmer Kern in den Tiefen des Selbst.
Du, als einer der allerwichtigsten dieser Menschen, hast entschieden zu gehen. Du hinterlässt eine Leerstelle, die ich bis jetzt nicht fassen kann. Die Gewissheit, als Achtzigjährige zusammen auf einer Bank zu sitzen, gemeinsam zu lachen, über unsere Deformierungen und Versehrungen zu triumphieren und uns die alten Geschichten wach zu rufen, ist dahin. Kein gemeinsamer Rückblick auf die Bahnen und Mäander unseres Lebens ist mehr möglich, keine geteilte Freude darüber, dass wir einander noch haben, uns auf diese bestimmte Art necken und Schönes genießen können.
Kann man so einen Verlust je begreifen? Den Verlust der eigenen Sprache, die wir miteinander hatten, des Humors, in dem wir uns begegnet sind, der Toleranz der kleinen Macken, mit denen wir uns aufgezogen haben. Den Verlust eines Körpers, der ein Bollwerk von Akzeptanz und Sicherheit war, dessen Bewegungen und Tanz so vertraut waren. Den Verlust eines moralischen Kompass, der das Falsche falsch genannt hat, ohne Wenn und Aber. Ich habe versucht, unsere Freundschaft mit archäologischer Akribie nachzuvollziehen, in Fotos, Briefen, Kalender- und Tagebucheinträgen. Und jedes einzelne Artefakt hat diesen unglaublichen Verlust nur bestätigt.
Glühende Freundschaft. So hast du das Bild vom gemeinsam betrachteten Sonnenuntergang betitelt, nach mehr als zwei Jahrzehnten, in denen wir einander so wichtig waren. Bei einer unserer letzten Begegnungen. Ich habe noch so viel Liebe für dich in mir. Und nun so einen großen Schmerz. Ich werde noch als Achtzigjährige auf der Bank um dich weinen.