Die Fichte ist vielerorts Geschichte. Müssen wir bald auch Buchen suchen?
Schon auf dem Weg zum Treffpunkt, vorbei an einem Waldstück, das wir in meiner Kindheit häufig besuchten, sind die Schäden und der Verlust an intakter Natur unübersehbar. Im früher dicht geschlossenen Waldbild klaffen Lücken, sind die Kronen licht und das Laub trocken. Auf dem Gelände der Forstbaumschule “Dr. Gottlob König”, einer der wenigen staatlichen Baumschulen Deutschlands, treffe ich Elger Kohlstedt, Leiter des Forstamts Leinefelde. Er bittet mich, in seinen Försterjeep einzusteigen und fährt über eine Reihe erst in den letzten Jahren gebauter Autobahnzubringer- und Umgehungsstraßen zu einer Waldfläche bei Gerterode, die mir beispielhaft das Ausmaß des massenhaften Waldsterbens vor Augen führen soll.
Im Januar 2018 fegte der Sturm “Friederike” durch das Eichsfeld und hinterließ vielerorts Schneisen entwurzelter Bäume. Im Rückblick begann für Kohlstedt mit dieser Verwüstung das Ende seiner normalen Arbeit als Förster. Seitdem ist er nur noch mit Schadensbegutachtung und Schadensverwaltung beschäftigt. Denn der Winter 2017/18 hatte viel zu wenig Niederschlag, auf ihn folgte ein Sommer mit extremer Hitze — ein fataler Trend, der sich auch 2019 und 2020 wiederholte. Alle Bäume stehen unter großem Stress durch den Wassermangel, die hohen Temperaturen und die aggressive Sonneneinstrahlung, die zum Teil das Laub regelrecht versengt. Die Unberechenbarkeit der Entwicklungen in der Klimakrise erfordern ein hohes Maß an Gefasstheit und die Offenheit für Plan B, C und D.
Wir klettern auf einen Jägerstand, um die zwei Fußballfelder große Fläche besser überblicken zu können. Hier standen bis vor kurzem 70–80 Jahre alte Fichten. Nun stehen nur noch eine Gruppe Kiefern neben einer Eiche und ein paar Birken wie ein Mahnmal in der Mitte — und wie aus Trotz gegen die Ödnis ringsum, in der sich Brombeer- und Weißdornhecken das Terrain erobern. Der Anblick dieses Kahlschlags trifft wirklich in die Magengrube. Währenddessen erzählt Kohlstedt, dass er mir Dutzende solcher Flächen in seinem Revier zeigen könnte und dass er zwei Drittel des Fichtenbestandes bereits abgeholzt habe, die Bäume hätten sich nicht mehr erholt. Mit der Entfernung der kranken und toten Bäume vermindert er das Risiko, dass sich Schädlinge ausbreiten können und schafft die Voraussetzungen für einen schnellen Waldumbau. Die Hecken werden bald gemulcht und der Boden für Neubepflanzung vorbereitet.
Wir fahren weiter zu einer Fläche im Haderholz zwischen Niederorschel und Hausen, auf der dieser Schritt schon vollzogen ist: auf die Abholzung der Fichten folgte die Anpflanzung junger Eichen. Sie sind mehrheitlich gut angegangen und stehen ca. 50–60 cm hoch. Die Fläche ist mit Wilddraht umzäunt. Auf einer anderen Fläche gegenüber sind verschiedene Baumarten in ca. 1,40 m hohe weiße Röhren eingehaust, damit sie schnurgerade nach oben wachsen können und das Wild die Triebspitzen nicht abknabbern kann. Vorsichtig versucht der Förster zu erkunden, ob ich vielleicht eine von denen sei, die Jagd ablehnen. Aber ich kann ihn beruhigen, da ich immer ganze Systeme in den Blick nehme. Wenn man Waldverjüngung erreichen will, noch dazu mit so hohem Aufwand, muss man auch dafür sorgen, dass der Wald wachsen kann und nicht in Rehbäuchen endet. Da sie keine natürlichen Feinde haben, muss der Mensch für ein Gleichgewicht ihrer Bestände im Ökosystem sorgen. Auch ohne Wildverbiss werden es die jungen Bäume noch schwer genug haben.
Wir fahren an weiteren abgeholzten Flächen vorbei, die darauf warten, für die Aufforstung vorbereitet zu werden. Auf einem Stück wurden Weißtannen gesetzt, eine Baumart, der mehr Anpassungsfähigkeit an die generelle Erwärmung zugetraut wird. Auf einer anderen Fläche rangeln ca. dreißig Jahre alte Eichen um Licht um die besten Nährstoffe und Wasser. Unter normalen Bedingungen würden einige von ihnen sich durchsetzen und am kräftigsten entwickeln. Der Förster würde sie dann markieren und ihren Aufstieg als zukünftige Qualitätsholzlieferanten durch Auslichtung und Entastung weiter fördern. Das gehört zum Kern seines Berufes: den Wald in seinen vielfältigen Nutzungsformen zu erhalten, auch wirtschaftlich zu gestalten und dabei weit im Voraus für die nächsten Generationen an Förster*innen zu planen. So haben es auch seine Förstervorfahren gemacht. Sie haben dabei auf den Vorteil der schnell wachsenden Fichten als einem gut zu verarbeitendem Bauholz gesetzt und entsprechende Plantagen angelegt. Dass diese Baumart auf eichsfeldischem Boden nicht heimisch ist, war über viele Jahrzehnte hinweg nicht problematisch und es wurde in den letzten Jahren begonnen, die Fichtenmonokulturen wieder zu Mischwald umzubauen. Ein Prozess, der Zeit braucht und der jetzt auf einen Schlag beendet ist. Ich frage mich, was es für die Menschen aus den umliegenden Dörfern bedeutet, diesen Verlust tagtäglich vor Augen zu haben, ihren Wald als Fluchtpunkt für unbeschwerte Spaziergänge, als Ort der Kühlung und guten Luft, als Erholungsraum mit seiner Artenvielfalt und als Trinkwasserschutzgebiet zu verlieren.
Der Förster sagt, dass er sich an diesen Anblick schon gewöhnt habe, er davon nicht mehr erschüttert sei, sondern pragmatisch die Abwicklung der Fichtenabholzung betreibe. Er hatte so schnell reagiert, dass er noch rechtzeitig vor dem kompletten Einbruch des Holzmarktes Abnehmer für sein Fichtenholz gefunden hat. Nun wolle er mir aber zeigen, was ihm wirklich Sorgen bereitet. Wir fahren in das Waldgebiet Alteburg oberhalb Reifensteins, einem für das Eichsfeld typischen Buchenwald. Er bittet mich, nach oben in die Baumwipfel zu schauen. Ich schaue hin, will aber sofort wieder wegsehen und habe einen starken Fluchtdrang. Von den ca 100–150 Jahre alten Buchen ist kaum eine ohne Schäden in der Krone, es gibt keine geschlossene Laubdecke mehr, die jungen Buchen verdorren, bevor sie überhaupt zu richtigen Bäumen heranwachsen können. Dieser Anblick und das Nachdenken über die Tragweite all dessen verursachen mir Übelkeit. Für welches Ausmaß an Schädigung, Schwächung und zu erwartendes Absterben mehrerer Buchengenerationen diese Symptome stehen, kann noch niemand ermessen. Jedoch prognostizieren die Meteorologen und Klimaforscher, dass sich der Trend der letzten drei Jahre mit niederschlagsarmen Wintern und trockenen, heißen Sommern fortsetzen wird.
Elger Kohlstedt erzählt von Kollegen, die schon aufgegeben hätten, die abgestorbene und schadhafte Bäume nicht mehr entnehmen würden, da sie das Holz nicht verkaufen könnten und keine Hoffnung mehr haben, überlebensfähige Bäume pflanzen zu können. Aber er will den Wald nicht sich selbst überlassen, er will ihn aufbauen, pflegen, stabilisieren und auch als Wirtschaftswald erhalten. Er sei Optimist und motiviere seine Mitarbeiter:innen immer wieder: “Wir geben nicht auf”. Im Herbst 2018 hat er 2,5 Tonnen Eicheln gesammelt und lässt sie nun in der Forstbaumschule anwachsen. Ca. zweieinhalb Millionen Eichen können so in den nächsten Jahren in die Thüringer Wälder ausgepflanzt werden. Dazu bindet er auch die Bevölkerung ein und ruft zu Pflanzaktionen auf. Beim letzten Mal hatten sich 80 Personen angemeldet, 150 kamen. Immer mehr Menschen verstehen, was für eine wertvolle Ressource intakte Wälder für uns alle sind und wollen einen Beitrag zu ihrer Erhaltung leisten. Kommunen und Länder könnten den Forstämtern hier noch stärker unter die Arme greifen und Projekte entwickeln und fördern, die das Verantwortungsgefühl für die Natur vor der eigenen Haustür bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen stärken. Wir alle stehen vor einer riesigen Herausforderung und nur gemeinsam können wir sie meistern.
Informationen über den Zustand der regionalen Wälder, Bildungsprojekte und Aufforstungsaktionen gibt es bei den jeweiligen Forstämtern.
Forstleute und Waldbesitzende können auf https://deutschland-forstet-auf.de/ Unterstützung für die Öffentlichkeitsarbeit und die Vermittlung von Freiwilligen für Pflanzaktionen abfragen.
Schon seit 30 Jahren betreibt das Bergwaldprojekt aktiven Klimaschutz und betreut Freiwillige in Aktionswochen zur Aufforstung oder Moorwiedervernässung in ganz Deutschland: https://www.bergwaldprojekt.de/