Berlins neue Smart City Strategie und die Donut Ökonomie

Nicole Hartmann
5 min readJun 3, 2021

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Photo: Adam Vradenburg/Unsplash

Im März hat das CityLAB Berlin einen Aufruf gestreut, Workshop-Ideen für die neue Strategie Berlins, eine “smarte” Stadt zu werden, einzureichen. Spontan haben wir von der Donut Berlin-Initiative, den Scientists for Future Berlin-Brandenburg und der WECHANGE Genossenschaft ein gemeinsames Konzept eingereicht. Als Kooperationspartner an der Schnittstelle von Digitalisierung und Nachhaltigkeit, Wissenschaft und engagierter Zivilgesellschaft waren wir uns schnell einig, dass eine “smarte” Stadt eine lebenswerte Stadt für alle sein muss — ganz im Sinne der Donut Ökonomie von Kate Raworth. So haben wir in unserer Workshop-Idee das zukünftige Berlin als Donut-Stadt zum Leitbild erhoben und die 3-Horizon-Methode vorgeschlagen, um Ziele, Prinzipien und Rahmenbedingungen der Smart City Berlin bei den Workshop-Teilnehmer:innen zu erfragen. Im Aufruf selbst wurde die Kernfrage aus der Doughnut City Portrait-Methodologie aufgegriffen:

Wie kann die Smart City Berlin zu einem Ort werden, an dem ihre
Bewohner:innen langfristig gut leben und gleichzeitig das Wohlergehen aller Menschen und die Gesundheit des gesamten Planeten respektieren?

Wir konnten mit unserer Idee überzeugen und wurden vom CityLAB beauftragt, in unseren Netzwerken, die in Erwachsenen- und Hochschul-bildung sowie verschiedene Nachhaltigkeits-Initiativen und -Organisationen hineinreichen, Teilnehmende zu rekrutieren. Visionen und Vorstellungen von einer lebenswerten Stadt der Zukunft sind oft verbunden mit Werten wie Verbundenheit, Teilhabe, Gesundheit und ein ausgewogenes Verhältnis zur Natur zu haben. Es fällt leicht zu benennen, was aufhören muss und “was wäre, wenn…” auszumalen, auch, welche Hürden zwischen dem “jetzt” und “dann” stehen. Die eigentliche Herausforderung ist jedoch, Wege für die Transformation zu skizzieren: was bedeutet es konkret, auf regeneratives Wirtschaften umzustellen? Wie können Ängste und Widerstände gegen die bevorstehenden Umbrüche antizipiert und zu konstruktiver Mitgestaltung umgelenkt werden? Welche Übergangslösungen ermöglichen erste Schritte? Für unseren Workshop haben wir 4 Ziele formuliert:

1. Die Teilnehmer:innen verstehen, wie wichtig die Umbruchsphase hin zur zukunftsfähigen, lebenswerten Stadt ist. 2. Sie wissen, dass Lösungen für diesen Übergang bereits existieren, die den Wechsel vom “Jetzt” zum “Dann” erleichtern. 3. Sie wollen daran mitarbeiten, ein sicheres und gerechtes Leben für alle innerhalb der planetaren Grenzen zu ermöglichen. 4. Sie sind in der Lage, die Grundprinzipien der Donut-Ökonomie in ihren Entscheidungen zu berücksichtigen.

24 Menschen sind ihrer Neugier auf unseren Workshop gefolgt. Nach einem kurzen Warm Up haben wir die Donut Ökonomie als mögliches Leitbild für das smarte Berlin 2030 vorgestellt und dann den Rahmen für die neue Smart City Strategie sowie die Methode der 3 Horizonte umrissen. Zunächst gab es eine kurze Journaling-Übung: “Wie sieht dein Tag im Jahr 2030 aus?” Individuell sollten dann die Gedanken aus dem Journaling auf dem Miro-Board im Feld zum 3., dem zukünftigen, Horizont, gepostet werden: “In welcher Smart City möchtest Du in 2030 leben? Was macht sie aus?” Das haben wir uns nochmal gemeinsam angeschaut und dann begann die Arbeit in Kleingruppen mit Fragen zum 1., dem jetzigen, Horizont: “Was steht diesen Überlegungen für die Zukunft aus der heutigen Welt im Weg? Was sind die Hürden von heute?” Um dann gedanklich auf den entscheidenden transformativen Horizont 2 einzustimmen, haben wir gefragt “Welche Elemente und Prinzipien aus der H3-Zukunft existieren heute schon (woanders, in kleineren Teilen, als Experimente)?” Als nächstes fragten wir: “Welche Innovationen und Transformationen könnten uns hierhin bringen - Technologien, politische Rahmenbedingungen oder gesellschaftliche Bewegungen?” Darauf erbaten wir noch eine Bewertung, welche dieser Entwicklungen eher transformierend wären (H2+) und welche das existierende System am laufen halten würden (H2-)?

Das Miro-Board mit den den Post-Its zu den drei Horizonten

Zum Abschluss haben wir zu einem weiteren Journaling eingeladen, bei dem jede:r für sich aus den gesammelten Eindrücken eine konkrete kleine Zeitreise zusammensetzen sollte, wie wir von H1 zu H3 kommen. Drei Teilnehmer:innen haben zum Schluß ihre Geschichten mit allen geteilt, von denen eine in ein eher pessimistisches, dystopisches Bild mündete. Die anderen beiden waren zukunftsmutiger und Luisa Withöft hat dankenswerterweise zugestimmt, dass wir ihre Geschichte veröffentlichen dürfen:

Es war, es ist, es wird einmal Berlin
Das Jahr 2030. Die Sonne scheint. Uns geht es ganz gut. Rückblickend auf das Jahr 2021: Vieles war kompliziert, die Welt von einer Pandemie befallen. Abstand, Maske, Home-Office für die Privilegierten, Überleben für die anderen. Das Leben begrenzt und eingeschränkt. Interessenskonflikte um die Flächennutzung „noch“ freier urbaner Räume. Ob in öffentlichen Händen oder denen der Lobbyisten? Das Geld war knapp. Nachhaltige Stadtentwicklungskonzepte warteten darauf realisiert zu werden. Mehr Suffizienz, mehr Grün, mehr urbane Erholungs- und Erlebnisräume, mehr Gerechtigkeit sollten alte Gewohnheiten ersetzen. Denn sie standen uns im Weg. Mutige und smarte Schritte wagen — Das trieb uns voran.

Was uns Hoffnung gab? Visionen einer Green City, einer im Miteinander gestalteten Stadt der Zukunft. Was dazu gehört?
1. Integrierte Planungen in allen Dimensionen, 2. Verkehrsberuhigte und barrierefreie urbane Zonen, 3. Zugänge zu Versorgung, Bildung, Erholung, Gesundheit und kreativer Selbstverwirklichung für ALLE, insbesondere für Minderheiten, 4. Austauschprozesse mit anderen Städten und der umliegenden Region, 5. Und das Wichtigste: Vernetzungsräume in Form von urbanen Gärten für ALLE — um integrativ und interdisziplinär Stadt gemeinsam zu entwickeln.

Neun Jahre später: Alles ein wenig besser. Die Stadt ist noch grüner. Sie lebt von Zwischennutzungen, neuen Wohnmodellen, und Wiederaufwertung vieler Leerstände und Brachflächen für kulturelle und soziale Zwecke.
Der „zerstörerische“ Teil des Lobbyismus ist durch spezifisch verabschiedete
Gesetzesnovellierungen ein wenig eingedämmt. Der Diskussionstisch dafür bunt — und die Verfahren kurz. Auch Kinder- und Jugendliche haben Mit-sprache- und Mitbestimmungsrecht. Also alles ein bisschen besser — doch bis zu einer spürbar gerechten Stadt bleibt immer noch ein langer Weg!
Warten wir es ab!

Es war eine spannende, bereichernde Erfahrung, ein Puzzlestück zur neuen Smart City Strategie Berlins beitragen zu können, insbesondere unter dem Leitgedanken einer Donut-Stadt. Wie es damit weitergeht, kann hier mitverfolgt werden. Wir danken dem CityLAB Berlin für die Möglichkeit, uns als Team für diesen Workshop zu formieren, und allen Teilnehmer:innen für das Vertrauen und den Enthusiasmus, ihre Gedanken zu teilen. Wir glauben, dass wir es gemeinsam schaffen, Berlin in eine regenerative Stadt zu verwandeln.

Nicole Hartmann, Merle Hildebrandt, Daniel Hires, Marla Kaupmann, Alexander Klemt, Christine Schmidt und Nils Weidemann

Informationen zur Initiative Donut Berlin unter https://donutberlin.de/

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Nicole Hartmann
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Written by Nicole Hartmann

Possibilist. Co-Founder and Strategist of Donut Berlin — Initiative for a Regenerative City.

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